In den USA erschöpft sich die Beschäftigung mit Umweltgerechtigkeit (UG) nicht in empirischen Bestandsaufnahmen und theoretischen Erörterungen, sondern hat sich der Prävention zugewandt. In diesem Zusammenhang werden Verfahren für eine konsensuale Entscheidung über und sozialverträgliche Verteilung von Umweltbelastungen auf soziale/ethnische Gruppen und Regionen erprobt.
Praktisch-politische Umsetzung von UG erfordert mindestens
- Kriterien für Verteilungsgerechtigkeit, die eine Abschätzung erlauben, ob Personengruppen oder Regionen einen "gerechten Anteil" (fair share) an Umweltbelastungen haben;
- Kriterien für Verfahrensgerechtigkeit, die sicherstellen, daß von gravierenden Umwelteingriffen Betroffene an Planung und Entscheidung "angemessen" beteiligt sind (fair treatment).
Solche Kriterien könnten auch bei uns relevant werden für Planungen bzw. Entscheidungen (z.B. Berücksichtigung sozioökonomischer Merkmale der Bevölkerung am Standort bei Genehmigungsverfahren) und Verfahrensnormen (z.B. Mitbestimmungsrechte der Betroffenen beim Bau großtechnischer Anlagen). Bisher wird UG in der BRD aber tendenziell ignoriert, u.a. aus folgenden Gründen:
- soziale Unterschiede ("Sozialgradienten") bei Umweltbelastungen werden als quasi "selbstverständlich" akzeptiert ("Reiche wohnen, wo sie wollen, Arme, wo sie müssen");
- die Plazierung von Risikoanlagen (Sendemasten, Windparks, AKWs, etc.) wird eher von Hochstatusgruppen problematisiert;
- die sozialräumliche Entmischung (Wohnsegregation) der Bevölkerung ist immer noch geringer als in den USA;
- die BRD produziert bisher weniger Umweltbelastungen als die USA, was das Verteilungsproblem erleichtert;
- aufgrund räumlicher Enge sind Trennung und Konzentration von Umweltbelastungen weniger möglich, was das Verteilungsproblem aber erschwert;
- einige Maßnahmen - hohe Schornsteine, wohnortnahe Entsorgung, etc. - gleichen Umweltbelastungen an, auch bei Fehlen einer umweltgerechtigkeits-spezifischen Zielsetzung;
- die real bestehende sozialdiskriminierende Verteilung von Umweltbelastungen wird nicht an der Hautfarbe festgemacht, sondern eher an Sozialstatus und Nationalität;
- die sozialräumliche Verteilung von Umweltbelastungen - mit entsprechenden Verteilungs- und Verfahrenskonflikten - wird nur in Einzelfällen thematisiert (z.B. Gorleben, Flughafen BER, Garzweiler, "Energieland Brandenburg");
- mit zunehmender sozialer Polarisierung und Wohnsegregation wird die sozialdiskriminierende Ungleichverteilung von Umweltbelastungen aber wahrscheinlicher und sichtbarer.
Außerhalb der USA ist das Aufgreifen von UG uneinheitlich. In der "Dritten Welt" werden Umweltprobleme seit langem primär als Folge von Armut und politischer Benachteiligung gesehen, ohne daß notwendigerweise ethnische Diskriminierung vorliegen muß, wie in den USA oft unterstellt. Dann lassen sich auch andere aktuelle Probleme dem Thema UG i.w.S. ("environmentalism of the poor") zuordnen - etwa Konflikte in Südamerika, Südostasien und Osteuropa.
Entsprechend war UG auch außerhalb der USA in den letzten 20 Jahren wiederholt Konferenzthema - z.B. in Australien (1997), Mexiko (2000), Südafrika (2001), Kuba (2003) -, oft im Zusammenhang mit Globalisierung, Nachhaltigkeit, Agenda 21 und verwandten Problemen. Auch im europäischen Ausland wird Umweltgerechtigkeit zunehmend aufgegriffen.
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