Umweltgerechtigkeit


Einführung

In der BRD wird verstärkt seit den 1990er Jahren soziale Gerechtigkeit immer wieder zum Thema. Sie wird grob als Angleichung sozialer Lebensbedingungen verstanden. Aus dieser Sicht gilt soziale Ungleichheit als Problem, nicht aber Ungleichheit in Hinblick auf gesundheitliche oder Umweltbedingungen.

Aus deutscher Perspektive ist es daher ungewöhnlich, daß in den USA die sozialräumliche Ungleichheit von Umweltbelastungen als Gerechtigkeitsproblem - als mangelnde "Umweltgerechtigkeit" (environmental justice) - diskutiert wird.

Eine sozialräumliche Ungleichverteilung von Umweltbelastungen (environmental inequity, environmental inequality) hat in den USA oft folgende Merkmale:

Sozialräumliche Unterschiede in Umweltbelastungen können u.a. durch folgende Prozesse entstehen:

Ausgangspunkt der US-Umweltgerechtigkeitsbewegung waren ab den 1970er Jahren stark beachtete Fälle sozialräumlicher Benachteiligung in Umwelthinsicht. Dies widersprach erklärten Zielen der Bürgerrechts-, Armuts- und Gewerkschaftsbewegung. Da in den USA Hautfarbe, Armut, Umweltbelastung und Gesundheit erkennbar zusammenhängen - "black, brown, red, poor, and poisoned" - wurde Umweltbenachteiligung oft als Umweltrassismus (environmental racism) bezeichnet. In der Folge entstanden hierzu viele Bürgerinitiativen (NIMBYs; Not in my backyard!), die lose kooperierten und erheblichen Druck auf lokaler, einzelstaatlicher und Bundesebene ausübten.

Umweltgerechtigkeit (UG) befaßt sich mit der sozialräumlichen Verteilung von Umweltbelastungen. Sie untersucht u.a., ob die Wohngebiete sozial bzw. ethnisch benachteiligter Personen mehr Umweltbelastungen (u.a. LULUs; locally unwanted land uses) aufweisen; warum; mit welchen sozialen und gesundheitlichen Folgen; wie sich dies vermeiden läßt. Diese Schnittstelle von Umwelt-, Gesundheits- und Sozialpolitik wird in den USA seit über 40 Jahren diskutiert (Poirier 1991), in Großbritannien und Schottland seit über 20 Jahren.

Der frühere US-Präsident Clinton wies 1994 Bundesbehörden und Ministerien an, UG in ihrem Zuständigkeitsbereich zu kontrollieren und zu fördern. New York City schrieb UG als Ziel in der Stadtverfassung fest. In New Jersey müssen bei der Planung umweltbelastender Projekte soziodemographische Zusammensetzung und bestehende Umweltbelastung der betroffenen Bevölkerung berücksichtigt werden. Texas schuf eine "Taskforce on Environmental Equity and Justice"; die Bundesumweltbehörde EPA spezielle Gremien und Programme, die sich damit befassen. Die Sanierungsprogramme "Superfund" der Entsorgungsbehörde (ATSDR) und die "Brownfield Initiative" des Ministeriums für Wohnen und Stadtentwicklung (HUD) orientierten sich an UG. Unter Bush Jr. und Obama wurde dies, trotz Rückschlägen, auf niedrigerem Niveau fortgesetzt.

Seit etwa dem Jahr 2000 ist UG auch in der BRD "angekommen". Zum einen als Handlungsfeld von Planern, Sozial- und Gesundheits-Wissenschaftler mit deutlichem Bezug auf die US-Debatten. Von hier aus fand UG auch Eingang in staatliche Programme, Institute und Behörden (z.B. APUG, UBA, SenStadt, SenUVK).

Zum anderen - mit wenig Bezug zur akademischen Debatte - wurde die Grundidee von UG bei vielen umweltbezogenen Konflikten eingesetzt; z.B. bei Standortkonflikten zu Tagebauen, Schnellstraßen, Windparks, Fracking-Bohrstellen, etc..

Schließlich hat in den letzten Jahren das mit UG verwandte Problem der Klimagerechtigkeit international Beachtung gefunden, wird aber inzwischen von der Debatte über den Klimawandel verdeckt.

Eine Schlußbemerkung: Umweltgerechtigkeit ist nicht gleich "ökologischer Gerechtigkeit"; letztere meint meistens Generationengerechtigkeit im Hinblick auf Umweltbelastungen.



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